Dekontextualisierung
The constant in change
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Dekontextualisierung bei Bakterien

Bakterien gelten als primitive Organismen, die überwiegend saprophytisch oder parasitisch leben. Sie bilden kaum komplexere Zellverbände und liegen, was die Größe der Zellen betrifft, weit hinter den Eukaryonten. Der Durchschnittsdurchmesser  einer Bakterienzelle liegt bei etwa 0,6 - 1 Mikrometer. Das größte derzeit bekannte Bakterium ist Thiomargarita namibiensis mit einer Größe von 750 Mikrometer, eine lithochemisch lebende Art, die nur vor der Küste Südwestafrikas lebt.

Aber auch Bakterien lassen sich wie alle Lebewesen (auch Viren) unter dem Gesichtspunkt der Dekontextualisierung betrachten. Wir werden dies exemplarisch an vier  sehr unterschiedlichen Arten tun.

Als erstes noch einmal zurück zu Thiomargarita namibiensis. Die Einzelzelle dieser Art besteht zu 98% aus einer flüssigkeitsgefüllten Vakuole, die als Nitratspeicher dient. Wenn eine Art, das können wir aus unseren vorangegangenen Überlegungen schlussfolgern, solch ein riesiges Depot besitzt, dann ist sie in starkem Umfang zeitlich dekontexualisiert, d.h. sie verfügt über Reserven, die sie in die Lage versetzen über einen langen Zeitraum unter Mangelbedingungen zu überleben. Worin besteht aber das Defizit? Thiomargarita wechselt im Laufe ihres Lebens passiv durch Meeresströmungen und aufsteigende Methanblasen bewegt ihre Position in der Schichtenfolge des Sediments. Einmal gerät sie in sauerstoff- und stickstoffreiche Zonen an der Oberfläche, wo sie große Mengen an Nitrat aufnehmen kann, dann wieder in tiefergelegene, wo sie unter Sauerstoffabschluss lebt. Dort gibt es reichlich Sulfide, die nun mit Nitrat als Elektronenakzeptor veratmet werden können. Bei vollständig gefüllter Vakuole kann das Bakterium ca. 40-50 Tage bei normaler Stoffwechselrate leben. 

Das Problem der sich gegenseitig ausschließenden Anwesenheit von oxidierenden bzw. reduzierenden Substanzen kann bei Bakterien auch durch räumliche Dekontexualisierung gelöst werden. Bestimmte Desulfobulbaceen-Arten können im Meeres-Sediment bis zu zwei Zentimeter lange vertikale Zellketten bilden. Der untere Teil ragt in das reduzierende sulfidreiche Milieu hinein, der obere Teil in das sauerstoffreiche. Mithilfe einer elektronenleitenden Ummantelung der gesamten Bakterienkette können Elektronen, die beim Oxidieren des Sulfids entstehen nach oben transportiert werden, wo eine Reduktion des Sauerstoffs stattfindet. Im Gegenzug wandern geladene Ionen in die Tiefe. Hier wird etwas Grundlegendes deutlich: Dekontexualisierung entsteht u.a. deswegen, weil die Dinge meistens nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Wenn zeitliche und/oder räumliche Distanzen überbrückt werden können, ist das immer ein Vorteil. Nur sind einfachen Organismen da viel engere Grenzen gesetzt als höherentwickelten. Unter bestimmten Voraussetzungen kann einfach nicht mehr erreicht werden, sonst hätten "Schmetterlinge Maschinengewehre", wie es ein mir leider unbekannter Autor einmal treffend formuliert hat. Im Laufe der Evolution kommt es ab einem bestimmten Punkt zu einer "Supernova", d.h. Voraussetzungen generieren in schneller und immer schneller werdender Folge durch intensive Wechselwirkungen neue weiterführende Voraussetzungen. Der Prozess der Dekontexualisierung gewinnt dadurch ungeheuer an Dynamik. Etwas "flach" bezeichnen wir diesen Vorgang als technologische Revolution. (Fortsetzung folgt)

Die dritte Bakteriengruppe, die wir uns ansehen werden, sind die Magnetobakterien. Sie besitzen spezielle Sensoren, die sogenannten Magnetosomen. Das sind kleine in einer Kette angeordnete Magnetitkristalle. Die Art Magnetospyrillum gryphiswaldense beherbergt beispielsweise ca. 60 von ihnen in ihrem Zellkörper. Wenn wir uns die Lebensweise von Magnetospyrillum anschauen, wird deutlich wozu Magnetosomen dienen. Sie erlauben es dem beweglichen Bakterium "oben" und "unten" zu unterscheiden und so zielsicher in Richtung nahrungsreiches Sediment steuern zu können. Wo finden wir hier Dekontextualisierung? Das könnte sich ein aufmerksamer Leser fragen. Schließlich sind Dekontextualisierungen uns bis jetzt noch nicht bei Sinnesorganen begegnet. Bei genauerer Betrachtung lassen sich aber auch Sensorsysteme in eine Dekontexualisierungsreihe bringen. Am Anfang stehen chemotaktische Sensoren, weil Lebewesen primär chemische Wesen sind. Im Laufe der Zeit kommen aber auch Sensoren hinzu, die auf Berührung reagieren, dann auf Licht. Größere Organismen können Schall wahrnehmen. Und am Ende der Reihe stehen hochentwickelte optische Sensoren = Augen, die über große Distanzen operieren können. Magnetosomen sind deshalb interessant, weil es sich um einen Feldsinn handelt, nicht wie bei Hören und Sehen um einen Wellensinn. Bei einem Feldsinn ist die Information über große Strecken gleich, hier ist "oben", da "unten". Es gibt aber auch Feldsinne, die komplexere Informationen zur Verfügung stellen können, da sind die elektrischen Sinnesorgane der Haie und verschiedener Knochenfischarten zu nennen. Wichtig für uns die Unterscheidung von Nah- und Fernsinnen. Der Nachteil von Nahsinnen ist, dass bei ihnen Bewegungssteuerung sehr mühsam ist, da die Rückkoppelungsschleife sensorischer Input - Orientierung - sensorischer Input - Orientierung. Der Organismus riecht, schmeckt, tastet sich nach dem Trial- und Error-Verfahren von A nach B.(Fortsetzung folgt)




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