Dekontextualisierung
The constant in change
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DNS, Sprache, Schrift und Digitales

Zuerst eine scheinbare Frage, die scheinbar unser Thema verfehlt. Warum gibt es so viele Tier- und Pflanzenarten, aber heute nur noch eine Menschenart? Warum gibt es nicht die universelle Tierpflanze?

Wie expandiert beispielsweise eine Pflanze in ihren Wirkraum?

Eine Blütenpflanze, die sich ja nicht von ihrem Wuchsort wegbewegen kann, ist sehr stark kontextualisiert, d.h. sie ist von Nahwirkungen abhängig (Licht, Feuchtigkeit, chemische und physikalische Bodenbeschaffenheit, Fressfeinde...) Sie ist am anfälligsten, wenn sie z.B. als Keimling aus einem Samen auskeimt (klein, wenig Reserven, kleine Wurzel) und verringert ihre Kontextualisierung durch Wachstum, kann also ihren Wirkraum vergrößern und den konkurrierenden oder invadierenden Wirkraum anderer Organismen begrenzen. Irgendwann ist aber Schluss. Die Vielfalt der ökologischen Bedingungen resultiert in einer Vielzahl der Arten, da Körper(also Phänotyp) und informationstragendes Medium(DNS) stark kontextuell verbunden sind. Diesen Satz sollte man sich immer wieder vorsagen.

Die Grundthese der Dekontextualisierung ist, dass es eine Abfolge von sich weiter distanzierenden Beziehungen gibt. In dieser Abfolge treten am Anfang zwangsläufig nur sehr kurze Distanzen überschreitende chemische Wirkungen auf. Im Lauf der Evolution wird durch das Entstehen von prokaryotischen und dann eukaryotischen Zellen der 'Wirkraum' immer größer. Beweglichkeit( Flagellen, Cilien), Koloniebildung, erste Formen von weitergehender Sozialität (Myxobakterien, Schleimpilze) dehnen den Wirkraum aus. Die komplexeren tierischen Mehrzeller schließlich 'erfinden' dann etwas, was diesen überwiegend chemisch definierten Raum sprengt: Die  Nervenzelle und den Muskel.

Dies ist ein gewaltiger Qualitätssprung, da von nun an ein schnelle gerichtete , elektrochemische 'Bewegung' ins Spiel kommt, die den gesamten Organismus koordiniert und fortbewegt, auch Blutkreislauf und Hormone sind parallel laufende Neuentwicklungen, die bei einem großen Organismus notwendig werden.

Die evolutive Entwicklung kann aber auch in stabilen Zuständen auf relativ niedriger Komplexitätsstufe enden. So sind die Hohltiere in der Regel keine Meister der gezielten Fortbewegung und verfügen nur über ein einfaches nicht zentralisiertes Nervensystem, haben mit den Tentakeln und Nesselzellen jedoch eine eigenständige, hoch effiziente Art der Beutefixierung auf kurze Distanz 'entdeckt'. Die Nesselzelle ist ja ebenso wie die Nervenzelle eine polare Zelle. Sie vereint die physikalischen Effekte einer Miniharpune mit chemischen Effekten (Nesselgift). Diese Ausstattung reichte für die Nesseltiere aus, um sich im Laufe der Jahrmillionen erfolgreich mit vielen Arten vor allem im marinen Raum auszubreiten. Innerhalb der Abteilung Hohltiere gibt es aber interessanterweise eine Klasse, die die Dekontextualisierung bis an die Grenzen des Bauplans ausgereizt hat, die Würfelquallen (Cubozoen). Hier begegnen uns schnelle, wendige, aktive Räuber, die eine relativ gute optische Orientierung besitzen. Sie sind überspitzt formuliert bei den Hohltieren das, was der Mensch bei den Wirbeltieren ist.

Bis zum Ende des Tertiärzeitalters bleibt aber etwas bestehen, was eine fast unüberwindbare Schranke bei allen bis dahin existierenden Organismen bildet, die Hautgrenze.  Die Aussengrenze des Lebewesens ist im Wesentlichen seine Wirkgrenze und die DNS oder seltener die RNS ist der zentrale informationelle Bezugspunkt. Daran ändert auch die sich immer weiter entwickelnde Fähigkeit des Lernens wenig. (In einem gesonderten noch zu schreibenden Abschnitt werde ich auf die Dekontextualisierungseffekte der verschiedenen Lernformen eingehen).  Wenn die Hautschranke überschritten wird, wie bei olfaktorischer, akustischer oder optischer Kommunikation, Spinnennetzen, Bauten, gespuckten Wassertropfen von Schützenfischen etc., so bleibt dennoch die DNS als Informationsträger bestimmend, da nur hier Tradition stattfindet, also die Generationsschwelle übersprungen wird. Alle gelernten Inhalte gehen mit dem Organismus nach seinem Tod unter. Digitales Archiv und Phänotyp "kleben" fest zusammen. Tertium non datur.

Dies ändert sich erst sehr spät in der Evolutionsgeschichte, als, man möchte fast sagen endlich Lebewesen entstehen, die zu Imitation und Abstraktion befähigt sind.

Sprache

Betrachten wir Sprache einmal als etwas, das gezielte Handlungen anderer bewirken kann. Dies wird uns jedesmal bewusst, wenn wir auf jemanden treffen, der nicht unsere Sprache spricht und dessen Sprache wir nicht verstehen. Wir können ihn dann nicht oder nur sehr schwer zu von uns intendierten Handlungen bewegen. 

Das weiter oben aufgeführte Beispiel der Bienensprache machte schon deutlich, dass Sprache es ermöglicht Verhalten gezielter zu steuern als es beispielsweise Warnrufe oder olfaktorische Signale vermögen. Man muss auch physisch nach einem Übermittlungakt nicht mehr präsent sein . Damit werden ganz neue Fernwirkungen möglich. Die Empfänger werden gleichsam zu lebendigen Werkzeugen, also zu sehr komplexen Objekten des Senders. Dies ist ein hochinteressanter Aspekt des Entwicklungsgeschehens beim Menschen, da sich hier ein Trend zur Asymmetrie anbahnt. Dominierende Individuuen (Medizinmänner, Adlige, Politiker, Manager, Geistliche) benutzen andere als universelle Maschinen (z.B Sklaven,  Arbeiter,  Zeitarbeiter). Erst durch die Sprache und die Schrift ist so etwas wie Machtausübung überhaupt möglich. Definieren wir Macht einfach als "symbolgesteuerte Fernwirkung".

 

Schrift

Mit der Schrift taucht der zweite digitale Replikator nach DNS bzw. RNS auf. Hochkonservative Archivfunktion, Replikationsfähigkeit und die Eigenschaft primärer ("im Anfang war...") Ausgangspunkt für Fernwirkung zu sein sind die konstitutiven Merkmale digitaler Replikatoren. Die Schrift ist außerdem ein optisches Medium, kann daher schon beim ersten Schritt (Schrift -> Auge) viel weiter wirken, als die chemische DNS es je konnte (DNS -> Messenger-RNS) es je konnte. "Schrift"ist hier umfassender definiert und umfasst alle kopierbaren Einheiten, also auch grafische und numerische Darstellungen, die komplexes Verhalten erzeugen können, z.B. technische Zeichnungen.

Elektronische Digitalität

Mit der Erfindung der Halbleitertechnologie war der Weg frei für die 'Verflüssigung der Zeichen' und gleichzeitig für die dritte Generation digitaler Replikatoren (die Bits).  Der Terminus 'Verflüssigung' gibt dabei nur einen Teilaspekt des Geschehens wieder, die Dynamisierung. Der andere Teil besteht darin, das Zeichen bis zu diesem Zeitpunkt nur durch ein menschliches Gehirn interpretiert und  verarbeitet werden konnten um dann gegebenenfalls wieder in Zeichen transformiert zu werden. Zeichen können ja nie direkt auf Zeichen einwirken. Das ja ist ein Teil ihrer Definition.

Durch die elektronische Datenverarbeitung trat ein gänzlich anderer Zustand ein. Zeichen konnten mittels Software und Hardware mit anderen Zeichen in Wechselwirkung treten, ohne dass ein denkender Mensch
  auf sie Einfluss genommen hätte. Die Tragweite dieses Geschehens wird uns im Alltag selten bewusst. Mit der elektronischen Digitalität kommt es zu neuen De- und Rekontextualisierungsqualitäten, die  die von Buchdruck, Telefonie, Radio- und Fernsehtechnik in den Schatten stellen und diese sogar integrieren.

Ein Beispiel: Bei einem modernen Textverarbeitungsprogramm behalte ich den editierten Text im Speicher des Computers ohne ihn sofort zur physischen Fixierung zu bringen. Ich kann ihn beispielsweise per E-Mail versenden, ihn beliebig oft ausdrucken(ohne physischen Durchschlag) ihn per Sharing anderen Usern zur Bearbeitung zur Verfügung stellen, oder ihn in ein soziales Netzwerk fernübertragen. Ich kann ihn aber auch einfach im Computerspeicher halten , ihn dort jederzeit verändern, kürzen oder verlängern und ihn nur auf dem Bildschirm darstellen lassen. 

Bei der Schrift existiert noch eine physische Bindung an Kontrastfarbe und Substrat. Die weiteste direkte Wirkung liegt in der überbrückbaren Distanz von Schrift zu Auge, das können maximal ca. 500m sein, läßt man einmal an den Himmel gemalte Schrift aus der Betrachtung heraus.  Der Transport der Schrift kann auch nur physisch geschehen und die Zeichen können nur zweidimensional linear angeordnet sein (=Serialität).

Streng genommen gibt es also nur drei "gute" Replikatoren: DNS/RNS, Schrift und digitales Engramm. Sprache scheidet wegen der unpräzisen Speicherung der dadurch vermittelten Inhalte im menschlichen Gehirn aus.

DNS ist noch präobjektiv, Schriftstücke sind schon echte Objekte, digitale Engramme können sehr schnell vom Speicher als Programme (aktiv) oder Daten (passiv) prozessiert werden um anschließend wieder in einem gespeicherten Zustand "einzufrieren", sie können außerdem im Internet in Lichtgeschwindigkeit den gesamten Planeten umrunden.

Noch einmal: Was ist allen dreien gemeinsam? Die Fähigkeit jeweils die komplexesten Wirkungen auf Distanz initiieren zu können und gleichzeitig Archiv zu sein. Die Sprache präformiert so betrachtet die Schrift, ohne noch deren präzise externalisierte Archivfunktionalität zu besitzen. Die Bienensprache impliziert weniger Komplexität als gezielte Distanzüberwindung in Abwesenheit des Senders.

 

 

 

 

 

 


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